Palästina


So wie Mohamed sind mindestens fünf Millionen Palästinenserinnen und Palästinenser staatenlos, nämlich die palästinensischen Geflüchteten, die in arabischen Staaten leben; da sie weder als Staatsbürger Palästinas registriert, noch Staatsbürger ihrer Aufenthaltsländer sind. "Die Staaten der Arabischen Liga verfolgen seit 1965 die explizite Politik, palästinensischen Flüchtlingen nicht die jeweilige Staatsangehörigkeit zu verleihen. [Casablanca Protocol] Damit soll das „Recht auf Rückkehr“ der Betreffenden unterstrichen werden. Weitere 1,4 Millionen4 Menschen, die in den Autonomiegebieten leben, gelten zumindest in den Staaten der Welt, die Palästina nicht als Staat anerkennen, als staatenlos .

Einige Quellen sprechen vage von „der Hälfte aller Palästinenser weltweit“, also ca. 6 Mio Menschen, die als staatenlos gelten.

Mohameds Familie kommt aus An-Nasira = Nazareth, im Norden auf dem Staatsgebiet Israels. Auch als Palästineser mit deutschem Pass wird er es für ihn nicht leicht werden, dorthin zu kommen. Allein die Einreise könnte sehr unangenehm werden, da die Kontrollen an den Flughäfen und Grenzen sehr streng sind und alle sofort wieder ausgewiesen werden, die auch nur ansatzweise verdächtig erscheinen. Sei es aufgrund eines "falschen" Namens oder wenn sie das Gefühl haben, dass er dort "Heimat" sucht.

Der Krieg, den Mohameds Opa erlebt hat, bezieht sich auf den Sechstagekrieg 1967. Dieser Krieg legt die Grundlage für die auswegslose Situation heute: Zitat bpb "Israel erlangte die Kontrolle über den Sinai, die Golanhöhen, das Westjordanland, den Gazastreifen und Ostjerusalem. Zugleich begann mit der Eroberung dieser Gebiete das israelische Siedlungsprojekt in vor allem von Palästinensern bewohnten Gebieten. Die Palästinenser sahen sich von nun an mit der israelischen Besatzung konfrontiert. Zudem sorgte der Krieg von 1967 für erhebliche Machtverschiebungen im Nahen Osten. Die arabischen Armeen wurden geschlagen, und Israel konnte seine Rolle als Regionalmacht festigen. Schließlich führte der Krieg auch zu globalen geopolitischen Veränderungen. So ist der Ursprung der engen Partnerschaft zwischen den USA und Israel eng mit den Entwicklungen von 1967 verknüpft."

Seitdem wird systematisch Krieg mit anderen Mitteln geführt: Siedlungen und deren Infrastrukturen zerteilen die besetzten Gebiete und es werden gezielt Fakten im Westjordanland geschaffen, die einen überlebensfähigen palästinensischen Staat unerreichbar werden lassen. So ist die Grenze beispielsweise gezielt um Wasserressourcen herum gebaut, sodass palästinensische Bäuer*innen davon abgeschnitten sind und keine Landwirtschaft betreiben können.

Daher bleibt Palästinenser*innen eigentlich nur den Rückkehranspruch von Generation zu Generation weiterzugeben. Realpolitisch ist das problematisch. Die Frage der Rückkehr wird in Verhandlungen immer ausgeklammert, ist aber für die Palästinenser*innen neben der Thematik von Jerusalem als Hauptstadt und der Beendigung der Besatzung DIE Grundlage für alle Verhandlungen und Annäherung an irgendeine Form von Gerechtigkeit. Aus urprünglich 700.000 sind über die Generationen schätzungsweise aber mindestens 6 Mio Geflüchtete geworden, die überall in der Welt ihren Anspruch auf Rückkehr geltend machen (hier geht es häufig allerdings nicht um die tatsächliche Rückkehr sondern eher um die Anerkennung, dass sie palästinensische Geflüchtete sind). Zur Verbildlichung: Schlüssel und Schlüsselloch sind zu den Symbolen der palästinensischen Geflüchteten geworden. In dem von Pälastinensern als "Nakba" (arabisch für die große "Katastrophe") bezeichneten Krieg im 1948 haben Palästinenser*innen häufig ihre Häuser abgeschlossen und den Schlüssel mitgenommen, weil sie so überzeugt waren, dass sie wiederkommen. Das ist nun 70 Jahre her und der Schlüssel und das Schlüsselloch sind zum Symbol einer Hoffnung geworden, die niemand aufgeben möchte. Es ist also DIE emotionalste Komponente für Palästinenser*innen dort Heimat zu haben, wo allerdings seit numehr auch einigen Generationen und 70 Jahren Israelinnen und Israelis oder Palästinser*innen mit israelischem Pass ihre Heimat finden. Nachkommen zu zeugen, ist hier auch ein Mittel der versteckten Kriegsführung, denn wer mehr Nachkommen hat, bestimmt, wer die Mehrheit im Land hat.

Wenn es Mohamed gelingt, nach Nazareth zu kommen, könnten sich seine Erwartungen auf eine Heimat im Sinne alter Erzählungen zumindest insofern erfüllen, als dass dort tatsächlich noch eine romantische alte Stadt mit lebendiger arabischer Kultur zu finden ist – und nicht, wie sonst so häufig, eine hochmoderne israelische Industriestadt auf den "alten Mandelbaumtälern" steht..

Dieser Text wurde maßgeblich von Fee Schreier geschrieben, die sich in ihrem letzten Projekt „Sumud“ dem gelebten Widerstand in Palästina sinnlich und forschend nähert. „Wenn dein Haus abgerissen wird, wirst du ein immer schöneres wieder darauf bauen, weil das dein einziger Widerstand ist, den du leisten kannst. Zu zeigen, dass das deine Heimat ist, die dir niemand nehmen kann und du nicht freiwillig gehen wirst. Es ist ein Hörspiel, in dem es auch darum geht, welche Bilder von Generation zu Generation weitergeben werden.“ www.sumud-al-walajah.info


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Flucht und Balkanroute